8. Mai Stade


Menschen gedenken Menschen

Blumen für die Opfer des Nationalsozialismus



GEDENKEN AN DEN GRÄBERN


Aufruf zur Erinnerung an NS-Opfer


Von Björn Vasel


LANDKREIS. Politiker aller demokratischen Parteien, Gewerkschaftler sowie Vertreter der beiden Kirchen, NGOs wie Attac, Gedenkstätten und Privatpersonen rufen auf, am Freitag, 8. Mai, kreisweit Blumen für die Opfer des Nationalsozialismus an den Gräbern niederzulegen.

Eines dieser (vergessenen) Gräber befindet sich auf dem Garnisonsfriedhof. Dort ist der KZ-Häftling Fernand Deffaux begraben. Seine Familie glaubte bis 2015, dass er mit mehr als 4000 Häftlingen beim Untergang der Cap Arcona in der Ostsee sein Leben verloren hatte.


68 Personen – von Superintendent Dr. Thomas Kück über Dr. Lars Hellwinkel von der Gedenkstätte Lager Sandbostel bis zu DGB-Gewerkschaftssekretär Lutz Bock – haben den unter anderem von dem Stader Michael Quelle initiierten Aufruf unterschrieben, ebenso wie zahlreiche Kommunalpolitiker von Grünen, SPD, Linken, Piraten und CDU.


Deffaux überlebte die Todesmärsche


Der Elektro-Monteur Fernand Deffaux (geboren am 26. April 1914, gestorben am 12. Juni 1945) aus Paris ist der einzige im Raum Stade bekannte beerdigte KZ-Häftling. Sein Schicksal zeigt, dass das Leiden nicht nach der Befreiung in Sandbostel am 29. April durch die Briten und dem Kriegsende am 8. Mai 1945 aufgehört hat. Der Franzose hatte die Todesmärsche überlebt. Kurz vor der Befreiung waren Mitte April 9500 Häftlinge aus dem Hauptlager und aus den Außenlagern des Konzentrationslagers Neuengamme unter anderem in das extra geräumte Marinelager (Marlag) des Kriegsgefangenenlagers Stalag X B in Sandbostel verlegt worden – verbunden mit einer Verstärkung der Stacheldrahtumzäunung.


Etwa 3000 von ihnen starben in den zweieinhalb Wochen der Inhaftierung in dem Lager bei Bremervörde (und danach) unter anderem an Seuchen, Hunger und Erschöpfung oder durch beziehungsweise infolge der Gewalttaten der Wachmannschaften von SS, Wehrmacht und Polizei. Die Überlebenden bezeichneten Sandbostel als Sterbelager.


Der italienische Militärkaplan Don Pasa beobachtete das Eintreffen der KZ-Häftlinge in Sandbostel und schrieb in sein Tagebuch: „Menschlicher Verstand wird niemals eine solch schreckliche Szene begreifen können. Es sind ungefähr 8000 politische Häftlinge angekommen. Überwiegend Mengen von skelettierten Kadavern. Die Überlebenden wirkten verloren ... . Eine von jenseits des Zaunes herübergeworfene Kartoffel ist Ursache eines wilden Kampfes, um in ihren Besitz zu kommen. Und es kamen immer mehr. Wenn sie die Waggons öffneten, waren mehr als die Hälfte tot. ... die verfluchte SS. Sie töteten sogar diejenigen, die um die Toten weinten.“


Der Franzose kam aus dem Außenlager in Meppen und hatte am 10. April 1945 den Marsch von Farge nach Sandbostel antreten müssen, sagt Dr. Lars Hellwinkel von der Gedenkstätte in Sandbostel.


Nach seiner Befreiung sollte Deffaux im Juni 1945 von Stade nach Paris ausgeflogen werden. Doch der Überlebende war zu schwach, so dass der für den Lufttransport zuständige Arzt ihn ins städtische Krankenhaus bringen ließ, heißt es in einem Bericht des französischen Verbindungsoffiziers beim britischen 30. Korps. Um 5.30 Uhr des 12. Juni 1945 stirbt er laut Sterbeurkunde an Lungentuberkulose. Der KZ-Überlebende Fernand Deffaux (Häftlingsnummer 54395) wird auf dem Garnisonsfriedhof in Stade beigesetzt, der Offizier lässt eine Trauerfeier in der Friedhofskapelle unter Anteilnahme französischer Soldaten ausrichten.


Seine Angehörigen erfahren davon nichts, sie glauben bis 2015, dass Fernand Deffaux am 3. Mai 1945 mit mehreren Tausend weiteren KZ-Häftlingen mit der „Cap Arcona“ in der Ostsee in der Lübecker Bucht untergegangen ist – versenkt durch die britische Luftwaffe. Deren Piloten hatten das schwimmende KZ offenbar für einen deutschen Truppentransporter gehalten. Die Kriegsmarine rettete nur Teile der SS-Wachleute und der Besatzung.


Der Vater von Deffaux, so Dr. Hellwinkel, habe wiederholt versucht, das Schicksal seines Sohnes zu klären. Die amtlichen Quellen widersprechen sich. Wie freiwillig sich Fernand Albert Deffaux – am 12. März 1943 hatte der in Paris lebende Elektromonteur einen Arbeitsvertrag als „travailleur volontaire“ für einen einjährigen Einsatz in der Region Hannover unterzeichnet – tatsächlich gemeldet hat, ist offen. Wahrscheinlich war es auch wirtschaftliche Not, so der Gedenkstätten-Historiker und -Pädagoge. Fakt ist: Er wollte offenbar von einem Heimaturlaub in Frankreich nicht ins Reich zurückkehren. Er wird verhaftet und kommt ins Konzentrationslager – im Jahr 1944. Im Häftlingsverzeichnis wird der 5. Oktober genannt, entweder das Datum der Verhaftung oder bereits des Transportes in das KZ Neuengamme.


Grabstein ist falsch beschriftet


Der Franzose ist ein Opfer der letzten Verbrechen des NSRegimes. Während beispielsweise die bei einem alliierten Luftangriff auf den Bahnhof Mulsum auf einen Zug während der Todesmärsche getöteten Wachleute von SS und Wehrmacht auf dem gepflegten Soldatenfriedhof in Neukloster liegen, ruht Deffaux auf dem Garnisonsfriedhof unter einer Rasenfläche rechts neben dem Leutnant der polnischen Heimatarmee, Jerzy Kobylinski (das TAGEBLATT berichtete). Dass der Grabstein falsch beschriftet und an der falschen Stelle steht, weiß die Stadt seit 2015.


Hellwinkel mahnt: „Ich würde mir wünschen, dass Fernand Deffaux seine Würde und seine Identität zurückbekommt – durch einen Grabstein mit richtigem Namen, seinen richtigen Lebensdaten und dem Hinweis, dass es sich um einen KZ-Häftling und nicht um einen Soldaten handelt, wie es der Stein auf dem Stader Garnisonsfriedhof immer noch suggeriert. Er ist Opferdes Konzentrationslagers Neuengamme – mitten in unserer Stadt.“


Sie unterstützen den Aufruf


„Wir regen an, aus Anlass des 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, Blumen an den Gedenkstätten und an den Gräbern von Opfern des Nationalsozialismus niederzulegen." 68 haben den Aufruf bislang unterzeichnet:


Jens Ahrens (Stade), Andreas Albig (Stade), Rainer Auf’m Kampe (Buxtehude), Karin Aval (Stade, Stadtrats- und Kreistagsabgeordnete), Nusrettin Avci (Stade, Stadtratsabgeordneter) Harald Bethge (Stade), Michael Bickel (Drochtersen), Lutz Bock (Gewerkschaftssekretär DGB), Wilfried Böhling (Stade), Klaus Böttcher (attac Stade/Buxtehude), Thomas Brückner (Stade), Claas Booth (Kutenholz), Andrea Breimeier (Hagenah, artists for future), Dierk Breimeier (Hagenah, artists for future), Reinhard Bussenius (Bremervörde, Kreistagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender) Michael Byl (Stade, Rosa Luxemburg Club Niederelbe), Angelika Christian (Stade), Ulrich Christian (Stade), Dr. Ralf Feierabend (Stade), Debbie Bülau (Aspe), Reinhard Elfring (Stade, Stadtratsabgeordneter), Dr. Lars Hellwinkel (Stade, Gedenkstätte Lager Sandbostel), Hartwig Holthusen (Harsefeld, Samtgemeinderats- und Kreistagsabgeordneter), Silke Hemke (Stade), Ulrich Hemke (Stade), Karl-Heinz Holst (Ahlerstedt, Samtgemeinderatsabgeordneter), Tristan Jorde (Stade), Harald Kaiser (Stade), Heiko Kania (Harsefeld, Fleckenratsabgeordneter, ehrenamtlicher Mitarbeiter des SG-Archivs), Kristin Kehr (Stade), Cornelia Kenklies (Stade), Richard B. Klaus (Stade, Kreistagsabgeordneter), Alexander Klinger (Stade), Susanne Koch (Buxtehude), Benjamin Koch-Böhnke (Buxtehude, Stadtrats- und Kreistagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender), Kai Köser (Stade), Oliver Kogge (Rosa Luxemburg Club Niederelbe), Bodo Koppe (Hemmoor), Klemens Kowalski (Buxtehude, Stadtratsund Kreistagsabgeordneter), Karina Krell (Stade, GEW Kreisverband), Uta Kretzler (Rosa Luxemburg Club Niederelbe), Dr. Thomas Kück (Superintendent in Stade), Heiko Malinski (Stade), Suzan Meves (Stade), Dr. Peter Meves (Stade), Karin Münz (/Stade), Rudi Münz (Stade), Silke Ochmann (Stade), Anna-Lena Passior (Stade, Gemeindeassistentin katholische Kirche), Lemar Nassery (Stade, GEW Kreisverband), Ralf Poppe (Harsefeld, Fleckenratsmitglied, Fraktionsvorsitzender), Henner Prestien (Hammah), Michael Quelle (VVN-BdA Stade), Cornelia Rath (Stade), Melanie Rost (Stade, Stadtratsabgeordnete), Dr. Frank Schlichting (Stade), Dr. Heike Schlichting (Stade), Harm Paul Schorpp (Jork, Gemeinderatsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender), Dörte Schnell (Hammah), Angela Steuer (Stade), Erika Stüben-Kaiser (Stade), Wolfgang Weh (Fredenbeck), Verena Wein-Wilke (Horneburg, Fleckenrats-/Samtgemeinderats/Kreistagsabgeordnete, Fraktionsvorsitzende), Werner Weimar (Stade), Bernd Winkelmann (Harsefeld), Harald Winter (attac Stade/Buxtehude), Ada Whitaker (Stade), Dr. Barbara Zurek (Stade, Stadtratsabgeordnete, Fraktionsvorsitzende).















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